Storytelling im Kino – „Rocketman“: Elton John

Storytelling im Kino Rocketman

Storytelling ist eine Hauptqualität von „Rocketman“, dem Musicalfilm über Elton John. Storytelling braucht Konflikte, Helden und Widersacher oder Bösewichte. Nicht immer erfüllen biobrafische Filme diese Kriterien so gut wie „Rocketman“.

Die Story von Rocketman

Eine freudlose Kindheit führt trotz großer Begabung und anfänglichem Erfolg nicht zum Glück. Statt dessen verstrickt sich der Held immer tiefer in seine Süchte.

(Tragischer) Held dieses Films ist (natürlich) Elton John. Sein Problem: Er sehnt sich seit seiner Kindheit nach Liebe. Kein Erfolg kann das wettmachen und den (Traum-)Prinzen ersetzen. Darum wird er unglücklich und süchtig. Wie alle Helden muss Elton John über sich hinauswachsen, um das Problem zu lösen. Seine Aufgabe ist es, erwachsen zu werden. Unabhängig von falschen Freunden zu werden. Seinen Süchten zu entkommen. Sich selbst zu finden, nicht mehr auf die Liebe der Eltern zu warten und dem Kind in sich endlich eine gute Heimat zu geben. Und wenn er das tut, wird er erlöst.

Die Rolle des Gegenspielers, des Bösen, ist den Eltern und seinem Manager John Reid zugedacht. Während Elton Johns Eltern noch mit ziemlich heiler Haut davon kommen, lässt der Film keinen Zweifel daran, wer Elton John in den Absturz getrieben hat. Jeder Auftritt des Managers, der ursprünglich als „Liebhaber“ in das Leben Elton Johns tritt, treibt den Helden der Geschichte weiter auf den Abgrund zu.

Muss Storytelling bei der Wahrheit bleiben?

Eine der Kritiken an Rocketman lautet z.B. , dass chronologisch die falschen Songs genutzt werden. Aber ist das überhaupt die richtige Frage?

Storytelling muss nicht genau der Wirklichkeit entsprechen. Für Storytelling sind Details unerheblich. Damit Geschichten wahr werden, dürfen und müssen Details „passend“ gemacht werden. Eine gute Geschichte erzählt nicht alles. Sie erzählt das, was nötig ist. So, dass die Geschichte funktioniert. Zur Wahrheit wird, was die Geschichte treibt und verständlich macht. Was passiert muss zwingend erscheinen. Dabei können mal aus einem Gespräch zwei werden oder umgekehrt.

„Rocketman“ funktioniert genau wegen seiner „Fehler“. So passen die Songs zu den Aussagen, die der Film in den entsprechenden Momenten braucht. Er hat mir sehr gefallen.

Die Rolle des Bösewichts, der der Erlösung entgegensteht, spielt Elton Johns Manager. Den Mentor, den es in dieser typischen Heldengeschichte auch gibt, ist Elton Johns langjähriger Texter Bernie Taupin. Der stille Bernie, der auf sich selbst achtet und Elton immer wieder (kleine Rettungs-) Angebote macht, ist ein wunderbarer Gegenpol zum Manager. Beide sind nicht auftrumpfend oder laut. Aber so gnadenlos, kaltherzig, verschlagen der eine geschildert wird, so klar, sich selbst genug ist der andere.

Brian und Elton finden im Film zurück zueinander und haben auch im echten Leben (so sagen Bernie und der Film) noch niemals einen Streit gehabt. Sie schreiben seit einem halben Jahrhundert gemeinsam Musik. Elton John ist inzwischen glücklich verheiratet und hat zwei Kinder. Den Kindern zuliebe geht er nicht mehr auf Tournee. Wenn das kein Happy End ist.

Dieser Film funktioniert so gut, weil nicht mit Pathos gespart wird. Immer wieder werden wir in die Gefühlsachterbahn geschleudert. Der Hautpdarsteller hat keine Angst vor Häßlichkeit und Extravaganz und geht ohne homophobe Berührungsängste in seiner Rolle auf. Er ist wunderbar greifbar.

Die Bilder in Rocketman

Besonders viel Freude machen die vielen Originalkostüme in Rocketman. Es ist unglaublich, was es alles zu sehen gibt. Sicher 70 verschiedene exzentrische Brillen. Wilde Bühnenauftritte. Ein sehr stimmiges Set, das ohne abzulenken, einen passenden Rahmen setzt. Egal, ob es um Luxus, relative Armut oder Kleinbürgerlichkeit geht.

Mein Lieblingsbild des Films ist Elton John im vollen Bühnenornat. Er sitzt mit roten Federflügeln und großen strassbesetzten Teufelshörnern auf dem Rücksitz eines Taxis. So fährt er in die Entzugsklinik. Eigentlich ist der Rücksitz viel zu eng für ihn. In diesem Bild stimmt alles… nicht. Darum ist es so gut.

Genauso gut gefallen mir die Szenen, in denen der Film mit fantastischen Bildern spielt. Bei seinem ersten Auftritt in den USA schweben Elton John und sein Publikum scheinbar minutenlang schwerelos. Dass dieses Konzert ein wilder, alles überragender Triumph ist, muss so nicht mehr erklärt werden. Die unmenschliche Hetze von Konzert zu Konzert wird später im Film in einen sich wild drehenden Konzertflügel übersetzt. An ihm spielt Elton John in immer schneller wechselnden Kostümen. Wie viele Konzerte er spielt, müssen wir nicht wissen. Trotzdem ist klar, es sind zu viele.

Genau das sollten die Visualisierungen in unseren Präsentationen auch leisten. Die Dinge ausdrücken, die man in Worten schlechter ausdrücken kann. Animationen könnten manchmal besser sein als Worte. Bei der Szene mit dem Konzertflügel ist mir beinahe schlecht geworden.

Eine weitere fantastische Szene ist ein versuchter Selbstmord im Pool. Elton John singt dabei auf den Grund des Pools ein Duett mit seinem Kinder Alterego in einer Taucherglocke. Die Kindersymbolik taucht immer wieder auf. Wie ein Call back. Sie bildet auch den Schlusspunkt des Films. Elton John umarmt endlich sein Kindheits-Ich. Danach hatte sich das Kind immer gesehnt. Konsistente Symbolik und Callbacks machen auch Präsentationen besser.

Wahrhaftigkeit in der Darstellung

Erstaunlich ist, dass dieser Film – so habe ich gelesen – der erste von einem großen amerikanischen Studio produzierte ist, der eine homosexuelle Sexszene zeigt. Man sieht keine „Action“ aber es ist vollkommen klar, was passiert. Mir war nur aufgefallen, dass diese Szene genauso realistisch wirkt, wie der Rest des Films. Eine sehr angenehme Abwechslung zu den heterosexuellen Sexszenen, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Die Damen behielten sämtlich ihre BHs an. Ich halte das aus meiner Erfahrung für wenig glaubwürdig… Das machen die Franzosen ganz anders.

Die Besetzung ist herrlich. In der Hauptrolle Taron Egerton – kongenial gerade auch beim Gesang. Verabscheuungswürdig: Richard Madden (auch als Robb Stark von GoT bekannt) als Schurke/Manager. Unauffällig auffällig und sehr sympathisch: Jamie Bell (ehemals Billy Eliot) als Texter und Mentor Bernie Taupin.

Ich bedauere nur eins: Nämlich Elton John als Ausnahmekünstler nicht live gesehen zu haben.

Robert McKees Theorie und Rocketman

Seitdem ich Story von Robert McKee gelesen haben, sehe ich Filme ganz anders. Was mir Robert McKee beigebracht hat, ist, dass jede Szene im Film die Handlung vorantreiben muss. Die Figuren im Stück verändern muss. Es muss das Problem immer noch schlimmer gemacht werden. Oder ein Antagonismus aufgebaut werden. Oder die Lösung immer weiter wegrücken oder endlich angegangen werden. Eine Szene, die nur beschreibt, und in der nichts die Handlung weiter voran treibt, muss gestrichen werden.

Dasselbe sollten wir uns auch in unseren Reden fragen. Trägt das Gesagte zum Zweck der Rede bei – dann bleibt es. Tut es das nicht, sollte es gestrichen werden.

Ich hätte darum auf die Szenen zur Ehe mit der Tontechnikerin Renate Blauel verzichtet. Sie verschärfen das Problem nicht und tragen auch nichts zur Lösung bei. Für mich waren dies die schwächsten Szenen des Films. Allerdings hören wir so noch einen weiteren tollen Song.

Falls Sie mehr über Storytelling lernen wollen, helfe ich gern mit einem Seminar oder Workshop. Das Thema gehört auch zur Rhetorik Masterclass.

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