Was macht Robert Kennedys Rede vom 4. April 1968 zur Ermordung von Dr. Martin Luther King zu einer der großen Reden, die in amerikanischen Schulen, in Universitäten und bei Ausbildungen zum Redeschreiben noch heute studiert werden? Was können wir daraus lernen?
Weiterlesen: Robert Kennedys Rede zu Martin Luther Kings TodZum einen zeigt diese Rede, dass Authentizität und eine klare Struktur zu einer extrem beeindruckenden Rede führen können. Selbst, wenn es keine oder fast keine Zeit für die Redevorbereitung gibt:
Robert Kennedy hat, nachdem er vom Tod Martin Luther Kings erfährt, nur wenig Zeit, sich vorzubereiten: etwa 25 Minuten auf der Fahrt vom Flughafen zum Veranstaltungsort*****.
Beim Einstieg in das Flugzeug, das Kennedy nach Indianapolis bringt, ist lediglich bekannt, dass auf den Bürgerrechtler geschossen wurde. Erst beim Verlassen seines Flugzeugs erfährt Kennedy vom Tod Dr. Kings.
Etwa 25 Minuten später schon steht er auf der Ladefläche eines Tiefladers und spricht. Er sagt nur wenige Worte – genau 638 – und spricht weniger als 6 Minuten (5:55).
Zum Anderen beweist diese Rede, dass Reden viel bewegen können. Leben verändern können. Einen Unterschied machen.
Denn Kennedy rettet in dieser kurzen Zeit wahrscheinlich einigen Menschen das Leben und erspart vielen (schwere) Verletzungen. In einer Vielzahl anderer Städte kommt es in dieser Nacht zu einem gewalttätigen Aufruhr. In Indianapolis nicht. Was hat Kennedy getan?
Gliederung
Robert Kennedys Rede folgt einer klaren Choreografie: Sie bildet die fünf Ebenen der Kommunikationshierarchie ab.
Diese fünf Ebenen sind:
- Information: Redezweck informieren: Was ist passiert?
- Verständnis: Redezweck Verständnis wecken – Was bedeutet das? Warum ist das wichtig?
- Werte bestärken: Redezweck gemeinsame Werte bestärken: Welche Werte teilen Publikum und Redner:in?
- Einstellungen und Ansichten verändern: Redezweck überzeugen – Was ist jetzt wichtig? Welche Einstellung ergibt sich aus der Information und den (bisherigen) Werten?
- Handlungen auslösen: Redezweck Handlungen auslösen – Was soll jetzt getan werden?
Die Rede nutzt aber auch Monroe’s Motivated Structure. Um das nachzuvollziehen hier die entsprechende Struktur:
- Aufmerksamkeit für das Thema wecken. Einstieg mit einer „Arschbombe“
- Bedarf: Worum geht es? Das zu lösende Problem herausarbeiten und erklären. (ggf. am Einzelbeispiel zeigen)
- Lösung: Die Lösung mit all ihren Schritten aufzeigen.
- Visualisierung: Die Zukunft mit (und/oder ohne) Einsatz der Lösung zeigen.
- Handlungsaufforderung: Das sollen die ZuhörerInnen (jetzt gleich) tun.
In meinem Rhetoriktraining Meisterklasse zeige ich, wie man z. B. mit dieser Struktur unvergessliche und bewegende Grußworte spricht. Wer die Struktur beherrscht, kann das dann auch – bei guter Kenntnis der Sachlage – spontan.
Kennedy leitet das Publikum ansatzlos, reibungsfrei von einem Punkt zum nächsten. Er startet mit der Information über den Tod Dr. Kings. Kennedy erklärt, warum King ermordet wurde und spricht dann über die Werte, die King vertreten hat (love and justice between fellow human beings). Er beruhigt das Publikum so nicht nur, sondern befriedet es und schwört es auf das Ziel ein, weiter für Kings Ziele zu kämpfen.
Der Wandel in der Stimmung ist – als ein Zwischenapplaus aufbrandet – bereits in der Mitte der Rede spürbar. An diesem Punkt wechselt Kennedy von Verständnis und Trauerbekundung und dem Reden über den Verlust zur Einstellungsveränderung. So – und das spürt das Publikum hier sehr früh und deutlich – zeigt er ihm einen Weg, wie es mit seiner Trauer umgehen kann.
Der spätere Teil der Rede ist rhetorisch viel ausgefeilter. Das liegt daran, dass er über seine eigene politische Einstellung spricht. Er erfindet hier nicht alles von Grund auf neu. Stattdessen nutzt er sicher vieles, was er wahrscheinlich schon oft ganz ähnlich gesagt hat.
Was genau sind die einzelnen Gliederungspunkte? Am Ende dieses Beitrags finden Sie eine Übersichtsgrafik. In den Redetexten (Deutsch / Englisch) habe ich die unterschiedlichen Teile der Gliederung ebenfalls (farbig) kenntlich gemacht.
Redezweck: Informieren
Im ersten, sehr kurzen Teil der Rede – zwei Sätze – werden die Zuhörer tatsächlich nur über die Tatsache in Kenntnis gesetzt, dass Martin Luther King erschossen wurde.
Viele der Zuhörer:innen wissen noch nichts von Martin Luther Kings Tod, sie wissen nicht, dass es deswegen in vielen anderen Städten Unruhen gibt, als Robert Kennedy zu ihnen spricht.
Kennedy ist der Überbringer der schlechten Botschaft.
Er sagt aber nicht einfach „Martin Luther King ist tot“, sondern „Ich habe eine schlechte Nachricht“ und erst dann gibt er seine Informationen preis.
Fast wie in einer offiziellen behördlichen Kommunikation wird die Botschaft „King was shot“ durch „and was killed“ konkretisiert. Dadurch entsteht ein kleiner Abstand zwischen Kennedy und seiner Botschaft. Es sagt, was er muss. Klar verständlich, aber nicht mehr.
Redezweck: Verständnis wecken
Im nächsten Satz würdigt Kennedy genauso knapp, präzise und scheinbar emotionslos wofür King stand: „…dedicated his life to love and to justice between fellow human beings, he died in the cause of that effort.“
Allein, das Wort „Liebe“ mag verraten, wie Kennedy fühlt.
Die Alliteration zwischen „life“ und „love“ lässt diese so große Aussage selbstverständlich wirken.
Redezweck: Werte bestärken
Jetzt taucht er tief ein in das, wofür Dr. King eintrat. Seine Anhänger fühlen sich erkannt und bestärkt. Dafür bekommt er auch hier wieder Applaus.
Redezweck: Einstellungen/Ansichten verändern
Nun erreichen wir den emotionalen Höhepunkt der gesamten Rede. In einem bemerkenswerten Moment spricht Robert Kennedy zum ersten Mal – einige sagen sogar, zum einzigen Mal – über die erschütternde Ermordung seines Bruders, John F. Kennedy, der fünf Jahre zuvor in Dallas brutal erschossen wurde.
Damals wurde nicht nur ein amerikanischer Präsident getötet, sondern der Hoffnungsträger einer ganzen Generation amerikanischer Bürger und aller amerikanischen Katholiken. John F. Kennedy war das Symbol des Wandels, das Licht in dunklen Zeiten.
Die Ermordung John F. Kennedys hatte in den 1960er Jahren eine Bedeutung, die der verheerenden Zerstörung des World Trade Centers eine Generation später in nichts nachstand. Diese beiden Tragödien teilen ein gemeinsames Erbe: unermesslicher Schmerz und Verlust, die die Seele einer Nation erschüttern.
Indem Robert Kennedy auf die Ermordung seines Bruders verweist, wird er nahbar, verletzlich – er wird zu „einem von uns“. In diesem Moment verwandelt er sich in einen glaubwürdigen Zeugen menschlicher Verletzlichkeit. Er ist ganz Mensch, ganz „da“. Und das spürt sein Publikum in jedem Atemzug.
Eine solche Selbstoffenbarung war damals ganz und gar ungewöhnlich.
Im nächsten Schritt greift Kennedy auf die Weisheit des griechischen Dichters Aischylos zurück. Dessen Gedicht beschreibt die unfassbare Trauer in all ihrer ergreifenden Tiefe und Unausweichlichkeit. Es wird klar: Diese Verletzung wird nicht schnell heilen. Sie muss durchlitten werden, und sie wird alle Betroffenen verändern. Nur mit der Gnade Gottes werden sie diese Dunkelheit überstehen. Aufruhr ist keine Lösung; Vergebung ist der einzige Weg – der einzige Pfad zu einer Zukunft des Friedens.
Warum wirkt das Gedicht von Aischylos so stark? Kennedy zitiert hier etwas, das er sich zutiefst zu eigen gemacht hat. Er hat nicht einfach schnell gegoogelt oder ein Kalenderblatt vorgelesen. Nein, er rezitiert seine persönliche Interpretation des Gedichts, und das verleiht seinen Worten eine Kraft, die tief ins Herz eindringt.
Ob das Zitat in seiner vollen Tiefe von jedem im Publikum verstanden wird, bleibt fraglich. Doch ich bin überzeugt, dass Kennedys ehrliche Selbstoffenbarung die Gedanken an einen Aufstand bricht. Wer in diesen Momenten aufmerksam zuhört, der kann später nicht randalieren. Er kann nur fühlen, verstehen und vergeben.
Redezweck: Handlungen auslösen
In diesem entscheidenden Abschnitt geht es darum, das Publikum auf ein neues Ziel einzuschwören. Kennedy wählt dazu einen konventionellen, aber kraftvollen Auftakt: Er bittet um Gebete für den verstorbenen Dr. King und seine Familie.
Auf den ersten Blick mag dies wie ein kleiner, beinahe selbstverständlicher Schritt erscheinen – insbesondere für die, die in tiefem Schmerz um Dr. King trauern. Doch in dieser Geste steckt weit mehr: Sie bietet Trost und Gemeinschaft in einer Zeit des unermesslichen Verlusts.
Kennedy lenkt dann den Blick auf die Chancen und den guten Willen, die in der Nation bestehen – trotz aller Schwierigkeiten und Widrigkeiten. In einem Moment der Hoffnung hebt er die positiven Strömungen hervor, die das Land durchziehen, und erinnert uns daran, dass in den dunkelsten Zeiten auch Licht zu finden ist.
Mit einer weiteren, subtilen Wendung verweist er auf die griechische Kultur – ein geschickter Rückbezug auf Aischylos – und fordert schließlich dazu auf, für Amerika zu beten. Diese Bitte ist nicht nur ein Appell, sondern ein Aufruf zur Einheit und Solidarität.
So präsentiert sich der perfekte Abschluss einer zutiefst poetischen und pathetischen Rede: ein eindringlicher Aufruf, der die Zuhörer dazu bewegt, über den Verlust hinauszublicken und gemeinsam in eine hoffnungsvolle Zukunft zu streben.
Erfolg der Rede
Indianapolis bleibt friedlich
In 110 anderen Städten der USA finden an diesem Abend schwere Ausschreitungen statt. 39 Menschen, die meisten von ihnen Afroamerikaner, verlieren ihr Leben, mehr als 2500 werden verletzt. Die Zerstörungen in Washington, D.C., bleiben noch jahrzehntelang sichtbar, eine bleibende Mahnung an die Unruhen dieser Zeit. Indianapolis aber bleibt friedlich.
Warum bin ich überzeugt, dass Kennedy entscheidend dazu beitrug, dass es an diesem Abend in Indianapolis friedlich blieb?
Indianapolis war zu diesem Zeitpunkt alles andere als eine friedliche Stadt. Ganz im Gegenteil. Bereits in den Vorbereitungen für den Termin – der ursprünglich nur einem einfachen Wahlkampf diente – bittet der Bürgermeister das Organisationskomitee, Kennedys Rede abzusagen und ihn nicht auftreten zu lassen.
Der Stadtteil, in dem Kennedy spricht – das afroamerikanische Ghetto – gilt als gefährlich. Daher lehnen Bürgermeister und Polizeipräsident bereits in der Vorbereitungsphase eine Eskorte für Kennedy ab. Am Abend der Rede wird er nur bis zur Grenze des Ghettos von einer Polizeieskorte begleitet; sein Wagen fährt alleine zum Ort des Geschehens.
Wenn man die Rede anhört, wird deutlich, wie die Menge reagiert. Sie ist ganz bei Robert Kennedy. Indianapolis bleibt an diesem Abend ruhig und friedlich. Woran, wenn nicht an Kennedys eindringlicher Botschaft, könnte es gelegen haben?
Kennedys Rede zielt darauf ab, die Menschen zu beruhigen und ihnen aufzuzeigen, dass Gewalt keine Lösung ist. Er betont, dass das Andenken an Martin Luther King am besten durch die Befolgung seiner Grundsätze gewahrt werden kann.
Aus einer potenziell gefährlichen Situation wird am Ende ein Gebet – für die USA und für Martin Luther King.
Robert Kennedy erhält als einziger Weißer beim Begräbnis Dr. Kings Applaus. Manche betrachten dies als Beleg für den Erfolg seiner Rede.
Seine Redenschreiber berichten später, dass sie nach der Rede all ihre Entwürfe – die Kennedy übrigens niemals gesehen hat – verworfen haben.
Wie gelingt es Kennedy, die explosiven Spannungen zu wandeln?
Er nutzt den Tod seines Bruders als Zugang und zitiert das Gedicht eines griechischen Dichters, um einen Ausweg zu skizzieren.
Mit einem zielgerichteten Ansatz, Schritt für Schritt, führt er sein Publikum zu einem gemeinsamen Ziel. Der Sog, der durch die Abfolge seiner Argumente entsteht, zieht die Zuhörer mit sich, wie ein langsam mahlender Mühlstein.
Stil des Vortrags
Dem Thema und der Komplexität seiner extrem langen Sätze mit vielfachen Einschüben angemessen, spricht Robert Kennedy sehr langsam, unterbrochen von vielen langen Pausen. Nur seine hervorragende Betonung sorgt dafür, dass diese komplexen Konstruktionen überhaupt verständlich sind.
Er spricht tatsächlich nur 107 Worte pro Minute.
Die Rede wird zum Schluss hin sehr poetisch und weich. Genauso wie Kennedys Stimme. Auch das unterstützt sein Ziel der Befriedung und der Würdigung Dr. Kings.
Welche Stilmittel benutzt Kennedy?
In dieser Rede zeigt sich (wieder), dass bestimmte Stil- und Wirkungsmittel gerade spontan recht leicht einsetzbar sind. Da wären hauptsächlich Pausen, Pathos, Trikolon, Anapher, Reihung, Wiederholung, Steigerung und Kontrast zu nennen.
Pausen
Kennedys Königsdisziplin ist die Pause. Vor dem Gedicht scheint sie endlos zu sein. Legt ein Brennglas auf die dann folgenden Worte.
Pathos
In seiner Rede in Indianapolis spricht Robert Kennedy zum ersten und wohl auch einzigen Mal über die Ermordung seines Bruders John F. Kennedy. Noch bedeutungsvoller wird das, wenn man weiß: Er trägt dabei den Mantel seines Bruders.
Zitat/Gedicht
Kennedy zitiert – ohne die Hilfe von Google! – Worte des griechischen Dichters Aischylos (nach Agamemnon*). Er hat den Text wahrscheinlich im Rahmen seiner Ausbildung, meiner Ansicht nach, (erneut) nach dem Tod seines Bruders gelesen. So steht er ihm nun zur Verfügung, um von den ersten aufgewühlten Absätzen überzuleiten zum – ich bin versucht zu sagen – programmatischen und viel stärker rhetorisch ausgefeilten Teil seiner Rede.
Dass er das Gedicht nach einhelliger Meinung nicht korrekt zitiert, tut der Wirksamkeit keinen Abbruch. Es passt so vielleicht viel besser zur Situation. Kennedy zitiert das, was er sich aus dem Gedicht zu eigen gemacht hat. Er zitiert seine Version des Gedichts.
Die Kraft und das tiefe Pathos der Worte setzen eine Zäsur, die das Publikum endgültig zur Ruhe kommen lässt und Kennedy die Aufmerksamkeit des Publikums für das Kommende sichert.
Verletzlichkeit
Die Kombination aus der Erwähnung des Todes seines Bruders und dem nachfolgenden Gedicht machten Kennedy verletzlich. Spätestens jetzt wird er zu einem gleichberechtigten Mitglied der Trauergemeinde, zu der das Publikum geworden ist.
Dieses sehr moderne Element ist kaum in den Reden offizieller Repräsentan:innen zu finden. Es sorgt aber für besonders große Glaubwürdigkeit und genau die benötigt Kennedy in diesem Moment.
Wie wirkungsvoll es ist, Verletzlichkeit und Gefühle zu zeigen, konnten wir bei der legendären Rede Barack Obamas zur Beerdigungsfeier der Charlstoner Predigerin, Clementa Pickney, sehen. Damals sang er „Amazing Grace“. (In diesem Fall – im Gegensatz zu Kennedy – nach ausführlichen Diskussionen und Vorbereitungen im Vorfeld nur, weil er dann vor Ort die Stimmung als passend empfand.)
Trikolon
Egal, ob Kennedy die Menge begrüßt, analysiert, fordert, reiht, Anaphern benutzt, immer ist es eine Dreierfolge. Das Trikolon macht jedes der Stilmittel noch wirkungsvoller.
Anapher
Einer der stärksten Absätze der Rede ist sicherlich der Elfte. Hier werden die ersten drei Anaphern der Rede „What we need in the United States is not…“/“Was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht“ aneinander gereiht.
Was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht Teilung; was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht Hass. Was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht Gewalt und Gesetzlosigkeit, sondern Liebe und Weisheit und Mitgefühl miteinander, ein Gefühl von Gerechtigkeit für die, die in unserem Land noch immer leiden, egal, ob sie weiß sind, oder schwarz.“
„What we need in the United States is not division; what we need in the United States is not hatred; what we need in the United States is not violence and lawlessness; but is love and wisdom, and compassion toward one another, a feeling of justice toward those who still suffer within our country, whether they be white or whether they be black.“
Indem er die, den Anaphern folgenden Objekte, steigert, erzeugt Kennedy ein Gefühl von Dringlichkeit, von Unaufschiebbarkeit, von Not.
Dieselbe Technik verwendet er auch zum Abschluss des vierzehnten Absatzs: „It is not the end of violence; it is not the end of lawlessness; and it is not the end of disorder.“ Auch hier sorgt die Anapher für eine starke Betonung. Im Gegensatz zum obigen Beispiel finden wir aber keine Steigerung, sondern eine Abschwächung der einzelnen Elemente.
Allerdings werden die Objekte hier in absteigender Ordnung gereiht. Ihre Bedeutung wird immer geringer. Da es sich um eine Verneinung handelt, ist genau das, das gewünschte Ergebnis: nicht einmal.
Reihung
Die gesamte Rede hindurch, arbeitet Kennedy konstant mit dem Mittel der Reihung. Dies finden wir selbstverständlich auch wieder im letzten Teil des elften Absatzes: „but is love and wisdom, and compassion toward one another, a feeling of justice“
Wiederholung
Immer und immer wieder wiederholt Kennedy Teile seiner Aussagen mit anderen Worten, steigert sie, bildet Trikolons – das befördert die Eindringlichkeit. Er verbessert sich nicht, aber er schärft den Ausdruck und betont, vergrößert die Aufmerksamkeit.
So zum Beispiel als er sagt: „In this difficult day, in this difficult time“ – An diesem schwierigen Tag, in dieser schwierigen Zeit.
Steigerung
Kennedy benutzt gern Trikolons und wenn er es tut, haben diese eine klare Reihenfolge. Meist eine Steigerung. So schon ganz zu Beginn, als es die Zuhörer begrüßt und sagt: „I have some very sad news for all of you, and I think sad news for all of our fellow citizens, and people who love peace all over the world,“
Erst „all of you“ – für Euch alle, dann „all of your fellow citizens“- alle unsere Mitbürger und schließlich „People who love peace all over the world“ – die friedliebenden Menschen überall auf der Welt.
Diese Steigerung bereitet die Bühne für das, was folgt, macht klar: Hier kommt etwas Wichtiges. So macht er es gern und oft.
Kontrast
Im selben Absatz nutzt Kennedy auch das Mittel des Kontrasts. Geht es erst nur um das, was die USA nicht benötigen, gibt es dann eine Reihung von den Dingen, die das Land benötigt.
Konsonanz
Im schon genannten elften Absatz benutzt er eine Konsonanz. Es geht um die Wortpaare „violence and lawlessness“ und „love and wisdom“.
Die „L’s“ in violence, „lawlessness“ und „love“ macht die Rede an diesem Teil melodisch. Als würden sich die Worte über das „and“ hinweg die Hände reichen, obwohl es sich um einen Kontrast handelt. Das macht diese Stelle beim Hören so interessant.
Kombination rhetorischer Stilmittel
So wie wir es auch aus vielen der Reden der Obamas kennen, führt insbesondere die Verdichtung und Überlagerung rhetorischer Stilmittel zu einer Musikalität, die das Gesagte eindringlich und bedeutsam macht.
Die Rede anhören
Sie können die Rede hier über die offizielle Seite der John F. Kenedy Presidential Library & Museum anhören.
Keins der Videos auf YouTube zeigt die Rede als Ganzes, es gibt Auslassungen, einmal wird sogar die Reihenfolge der Absätze vertauscht.
Die einzige ungeschnittene Videoversion der Rede, die mit dem Audiomitschnitt der Library übereinstimmt, habe ich auf Vimeo gefunden. Leider musste ich mich zum Ansehen anmelden:
Der veröffentlichte Redetext ist geglättet.
Ich stütze mich daher bei den von mir transkribierten Redetexten auf die Tonaufzeichnung der Presidential Library & Museum.
Redetext auf Deutsch
(Vor Beginn der Rede: „Wissen sie über Martin Luther King Bescheid?“)
Sehr geehrte Damen und Herren, ich werde heute nur für eine Minute oder so zu ihnen sprechen, denn ich habe sehr traurige Nachrichten für sie alle
Könnten Sie diese Schilder herunternehmen, bitte?
Ich habe sehr traurige Nachrichten für Sie alle, und ich denke für alle unsere Mitbürger und für die friedliebenden Menschen überall auf der Welt und das ist, dass heute Abend auf Martin Luther King geschossen wurde und er getötet wurde.
——— Schreie
Martin Luther King widmete sein Leben der Liebe und der Gerechtigkeit zwischen den Menschen, er starb wegen dieser Bemühungen.
An diesem schwierigen Tag, in dieser schwierigen Zeit für die Vereinigten Staaten, ist es vielleicht gut zu fragen, was für eine Art von Nation wir sind und in welche Richtung wir uns entwickeln wollen.
Für die unter Ihnen, die schwarz sind – wenn man die Beweise berücksichtigt – dann sind es weiße Personen, die verantwortlich waren – Sie können voller Bitterkeit, Hass und dem Wunsch nach Rache sein. Wir können uns als Nation in diese Richtung entwickeln, in tiefere Polarisierung – Schwarze Menschen unter Schwarzen, Weiße unter Weißen, erfüllt von Hass aufeinander.
Oder wir können uns, so wie es Martin Luther King getan hat, bemühen zu verstehen und zu begreifen, und diese Gewalt, diese Befleckung durch das Blutvergießen, die sich über unser Land ausgebreitet hat, zu ersetzen mit dem Bemühen zu verstehen, mitzufühlen und zu lieben.
Zu denen unter Euch, die schwarz sind und die besessen sind von Hass und Misstrauen auf die Ungerechtigkeit dieser Tat, gegen alle weißen Menschen, ich kann da nur sagen, dass ich in meinem Herzen dasselbe Gefühl fühle. Ein Mitglied meiner Familie wurde getötet, doch er wurde von einem weißen Mann getötet.
Aber wir müssen uns anstrengen in den Vereinigten Staaten, uns anstrengen zu verstehen, um über diese wirklich sehr schwierigen Zeiten hinweg oder darüber hinauszukommen.
Mein Lieblingsdichter war Aischylos. Er hat einmal geschrieben: „Selbst in unserem Schlaf, fällt Schmerz, der nicht vergessen kann, Tropfen für Tropfen auf das Herz, bis – in unserer großen Verzweiflung, gegen unseren Willen, durch die furchtbare Gnade Gottes Weisheit entsteht.“
Was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht Teilung; was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht Hass. Was wir in den Vereinigten Staaten brauchen, ist nicht Gewalt und Gesetzlosigkeit, sondern Liebe und Weisheit und Mitgefühl für einander, ein Gefühl von Gerechtigkeit für die, die in unserem Land noch immer leiden, egal, ob sie weiß sind, oder schwarz.
—– Applaus —–
Ich werde Euch also heute Abend bitten, nach Hause zu gehen, ein Gebet für die Familie von Martin Luther King zu sprechen. Yeah, es ist wahr,
aber noch wichtiger, ein Gebet für unser eigenes Land zu sprechen, das wir alle lieben. Ein Gebet um Verständnis und das Mitgefühl, von dem ich sprach.
Uns kann es hier gut gehen in diesem Land. Wir werden schwierige Zeiten haben; wir hatten in der Vergangenheit schon schwierige Zeiten, wir werden auch in der Zukunft schwierige Zeiten haben. Es ist nicht das Ende der Gewalt. Es ist nicht das Ende der Gesetzlosigkeit; und es ist nicht das Ende des Chaos.
Aber die weitaus überwiegende Mehrheit der weißen Menschen und die weitaus überwiegende Mehrheit der schwarzen Menschen in diesem Land wollen zusammenleben, wollen die Qualität unseres Lebens verbessern und wollen Gerechtigkeit für alle menschlichen Wesen, die in unserem Land verweilen.
——— Applaus
Lasst uns, uns dem weihen, was die Griechen vor so vielen Jahren schrieben: Die Wildheit des Menschen zu zähmen und das Leben in seiner Welt sanftmütig werden zu lassen.
Lasst uns, uns dem weihen und sagt ein Gebet für unser Land und unser Volk.
Vielen Dank.“
Der originale Redetext auf Englisch
(Before: „Do they know about Martin Luther King?“)
Ladies and Gentlemen, I am only going to talk to you for a minute or so this evening, because I have some very sad news for all of you.
Could you lower those signs, please?
I have some very sad news for all of you, and I think sad news for all of our fellow citizens, and people who love peace all over the world, and that is that Martin Luther King was shot and was killed tonight in Memphis, Tennessee.
little screems
Martin Luther King dedicated his life to love and to justice between fellow human beings, he died in the cause of that effort.
In this difficult day, in this difficult time for the United States, it‘s perhaps well to ask what kind of a nation we are and what direction we want to move in.
For those of you who are black – considering the evidence evidently is – that there were white people who were responsible – you can be filled with bitterness, and with hatred, and a desire for revenge. We can move in that direction as a country, in greater polarization – black people amongst blacks, and white amongst whites, filled with hatred toward one another.
Or we can MAKE AN EFFORT, as Martin Luther King did, TO UNDERSTAND and to comprehend, and replace that violence, that stain of bloodshed that has spread across our land, with AN EFFORT TO UNDERSTAND, and compassion and love.
For those of you who are black and are tempted to be filled with hatred and distrust at the injustice of such an act, against all white people, I would only say that I can also feel in my own heart the same kind of feeling, I had a member of my family killed, but he was killed by a white man.
But we have to MAKE AN EFFORT in the United States, we have to MAKE AN EFFORT TO UNDERSTAND, to get beyond or go beyond these rather difficult times.
My favorite poem, my favorite poet was Aeschylus. He once wrote:
„Even in our sleep,
pain which cannot forget
falls drop by drop upon the heart
until, in our own great despair,
against our will,
comes wisdom through the awful grace of God.“
What we need in the United States is not division; what we need in the United States is not hatred; what we need in the United States is not violence and lawlessness; but is love and wisdom, and compassion toward one another, and a feeling of justice toward those who still suffer within our country, whether they be white or whether they be black.
————— Applause
So I shall ask you tonight to return home, to say a prayer for the family of Martin Luther King Yeah it‘s true
But more importantly to say a prayer for our own country which all of us love, a prayer for understanding, and that compassion of which I spoke.
We can do well in this country. We will have difficult times; we’ve had difficult times in the past; but we will then again we will have difficult times in the future. It is not the end of violence; it is not the end of lawlessness; and it is not the end of disorder.
But the vast majority of white people and the vast majority of black people in this country want to live together, want to improve the quality of our life, and want justice for all human beings that abide in our land.
————— Applause
Let us dedicate ourselves to what the Greeks wrote so many years ago: to tame the savageness of man and make gentle the life of his world.
Let us dedicate ourselves to that, and say a prayer for our country and for our people.
Thank you very much.“
Quellen
Redetext: Zitiert nach Papers of Robert F. Kennedy. Senate Papers. Speeches and Press Releases, Box 4, „4/1/68 – 4/10/68.“ John F. Kennedy Presidential Library
* https://indianahistory.org/blog/the-speech-robert-f-kennedy-indianapolis-and-the-death-of-martin-luther-king-jr/ Hier erfährt man viel über die Atmosphäre bei der Rede und wie sie auf die Zuhörer:innen wirkte.
****** https://www.in.gov/history/state-historical-markers/find-a-marker/robert-f-kennedy-on-death-of-martin-l-king/ –